Gründungsanlass

 
Der gemeinnützige Verein Aktiv gegen Gewalt (AgG) wurde 2009 auf Initiative ehemaliger und noch aktiver MitarbeiterInnen in sozialtherapeutischen Einrichtungen in Hamburg gegründet. Inzwischen konnten weitere engagierte MitarbeiterInnen mit psychiatrischem, psychotherapeutischem, kriminologischem und pädagogischem Sachverstand zur Mitarbeit gewonnen werden.
 
 
 

Fachkompetenz

 
Die im Verein tätigen MitarbeiterInnen verfügen über umfangreiche Kenntnisse in der Anwendung gängiger Therapie-, Diagnose-, und Prognoseverfahren.
 
 

Finanzierung

Der Verein wird durch Mittel der Freien und Hansestadt Hamburg unterstützt und finanziert sich darüber hinaus durch Spenden (unter anderem von der Gaiser-Stiftung) und Mitgliedsbeiträge.
 

Kooperation mit anderen Einrichtungen

Wir verstehen uns als Teil eines psychosozialen Netzwerkes und kooperieren mit anderen Institutionen und Einrichtungen wie z.B. der Bewährungshilfe, den Strafvollstreckungskammern, der Präventionsambulanz des UKE sowie bei Bedarf mit Jugendämtern und Kinderschutzzentren.
 
 

Team

Jubiläum

 

Zehn Jahre aktiv gegen Gewalt bei „Aktiv gegen Gewalt e.V.“!

Am 26. Juli 2019 feierten wir in der Justizbehörde das zehnjährige Bestehen unseres Vereins, der damals auf private Initiative hin von ehemaligen und heute noch aktiven Mitarbeitenden Sozialt herapeutischer Anstalten gegründet wurde.

Unser therapeutisches Team und weitere Mitglieder hatten Gäste, mit denen sie in der Arbeit des Vereins verbunden sind, eingeladen.

Ziel unserer Arbeit ist es, Menschen, die wegen Gewalttaten aufgefallen sind und hauptsächlich aus dem Strafvollzug kommen, in ihren Bemühungen gewaltfrei zu leben zu unterstütze.

Mehrere Redebeiträge erläuterten die Entwicklung und die gesellschaftlichen Aufgaben des Vereins, der durch seine therapeutischen Angebote für Gewalttäter (s)einen Beitrag zum Opferschutz leistet.

Musikalisch begleitet wurde die Veranstaltung von dem Gitarristen Tornado Rosenberg.

 
Grußwort Astrid Barth

Sehr geehrter Herr Senator,

 

liebe Gäste unserer Jubiläumsveranstaltung!

 

Als die ehemalige Sozialtherapeutische Anstalt Bergedorf ein Jubiläum feierte- 

 

ich glaube, es war zum 30-jährigenBestehen dieser Einrichtung- fragte die damalige 

 

Justizsenatorin Peschel-Gutzeit in ihrer Rede, ob das Jubiläum einer 

 

Sozialtherapeutischen Anstalt, eines Gefängnisses, ein Grund zum Feiern sei. 

 

 Sie beantwortete ihre Frage mit einem entschiedenen „ja, dennoch“. Und verwies auf 

 

das Ziel dieser Einrichtung: „Die Menschen, die in ihr aufgenommen sind, dazu zu 

 

ertüchtigen, ein Leben in sozialer Verantwortung zu führen“ .

 

Das ist auch die Überschrift über die Arbeit des Vereins Aktiv gegen Gewalt, dessen 10-

 

jähriges Bestehen wir heute feiern. 

 

Dieser  Überschrift fügen wir eine, für uns wesentliche, Ergänzung hinzu. Wir – die 

 

Mitglieder des Vereins Aktiv gegen Gewalt- arbeiten im Sinn des Opferschutzes. Gute 

 

Arbeit mit Tätern ist guter Opferschutz. Es sind die beiden Seiten ein und derselben 

 

Medaille. Das habe ich bei Veranstalten und Kontakten mit Opferhilfeorganisationen und 

 

durch ihre Wertschätzung für die Arbeit mit Tätern immer wieder erfahren dürfen. 

 

 

Warum machen wir das und wie machen wir das?

 

Die Arbeit von Aktiv gegen Gewalt ist eine Form „Forensischer Ambulanz“, ist im 

 

Rahmen des Übergangsmanagements ein Glied einer Kette von beteiligten Institutionen 

 

und Maßnahmen mit dem Ziel, dass die Klienten ein Leben  in sozialer Verantwortung 

 

führen. Eine abgestufte Entlassung mit anschließender Nachbetreuung ist gerade für 

 

Täter mit schweren Gewaltdelikten und damit häufig verbundenen Auffälligkeiten in 

 

ihrer Persönlichkeitsstruktur – und in dieser Kombination haben wir es bei der Klientel 

 

von Aktiv gegen Gewalt zu tun- außerordentlich sinnvoll. Gerade die Zeit vor und nach 

 

einer Entlassung aus dem Strafvollzug ist bekanntlich ein besonders kritischer 

 

Abschnitt, bei dem begleitende und absicherte Unterstützung sowohl für das betroffene 

 

Individuum als auch zum Schutz der Gesellschaft hilfreich und sinnvoll sind. Das zeigen 

 

viele Forschungsergebnisse und das wissen wir auch aus unserer professionellen 

 

Erfahrung und darum legen wir so viel Wert auf unsere Vernetzung mit Einrichtungen, 

 

die am selben Strang ziehen.  

 

 

Wir – das sind Psychologinnen und Psychotherapeuten und Psychotherapeutinnen  mit 

 

zum großen Teil langer Erfahrung im Vollzug und weitere Vereinsmitglieder mit viel 

 

juristischem, soziologischem, sozialpädagogischem, kriminologischem Wissen. 

 

 

Wenn unsere Klienten aus dem Vollzug kommen- und nahezu alle kommen aus dem 

 

Vollzug und oft mit Weisungen der Strafvollstreckungskammern oder anderer Gerichte- 

 

begeben sie sich wieder in eine Welt, der sie sich stellen müssen und deren 

 

Herausforderungen im sozialen,  beruflichen und privaten Leben sie gewachsen sein 

 

sollen und müssen – sie, die oft genug gerade an diesen Aufgaben gescheitert sind mit 

 

katastrophalen Folgen für sich selbst und vor allem für Mitmenschen, weil sie versucht 

 

haben, ihre Probleme mit Gewalt zu „lösen“- mit Straftaten gegen Leib und Leben: mit 

 

Körperverletzungs- und Tötungsdelikten, mit Erpressungen, Brandstiftungen, Raub- 

 

übrigens sehr oft Delikte im sozialen Nahraum.  

 

.

Aufgrund ihrer oft problematischen  Persönlichkeitszüge muss die Arbeit mit ihnen klar 

 

strukturiert sein mit nachvollziehbaren Grenzsetzungen, dennoch empathisch und mit 

 

langem Atem betrieben werden, damit sich sozialschädliche Einstellungen und 

 

entsprechendes Handeln in Sozialadäquatischeres  verändert. 

 

 

Wie machen wir das?

 

Die Bewerber, die sich per Telefon oder seltener schriftlich bewerben, werden zu einem 

 

Aufnahmegespräch mit zwei Mitgliedern des therapeutischen Teams eingeladen, zu dem 

 

sie tunlichst Urteile, Gutachten, Gerichtsbeschlüsse mitbringen sollen.  Nach dem 

 

Gespräch entscheidet das gesamte therapeutische Team über eine Aufnahme. Bei einer 

 

positiven Entscheidung wird die Teilnahme an der wöchentlichen Gruppensitzung 

 

angestrebt.( In begründeten Einzelfällen wird eine Einzeltherapie angeboten.)

 

Nach fünf probatorischen Sitzungen wird mit dem Klienten gesprochen und 

 

entschieden, ob eine weitere Teilnahme sinnvoll erscheint. Er soll bereit für eine 

 

regelmäßige Teilnahme über 50 Sitzungen. Das ist nicht immer leicht. Da stehen Arbeits- 

 

und Kinderbetreuungszeiten entgegen, Krankheiten, sicher auch Lustlosigkeit und Null 

 

Bock. Fehlzeiten werden besprochen und können zum Ausschluss führen.  Das reguläre 

 

Ende der Teilnahme wird einerseits bestimmt durch Bewährungsauflagen und –zeiten, 

 

aber auch durch Absprachen mit dem Klienten.

 

In den therapeutischen Sitzungen geht es im Wesentlichen um die Bewältigung der 

 

Probleme, die im Hier und Jetzt auftauen und die mit der Persönlichkeitszügen der 

 

Klienten zusammenhängen. Die Gruppensitzungen werden immer von zwei Mitgliedern 

 

des therapeutischen Teams geleitet. Oft betätigen sich die Gruppenmitglieder  als 

 

durchaus hilfreiche Co-Therapeuten- einerseits empathisch an der Seite ihres Kollegen, 

 

andererseits aber auch glaubwürdig kritisch gegenüber ihm. 

 

 

Da die Gruppe im Interesse der Intensität der Arbeit, aber auch wegen der 

 

Persönlichkeitsauffälligkeiten der Klienten nicht mehr als 8 Mitglieder haben soll, haben 

 

wir ständig eine Warteliste derjenigen, die eine Zusagen für die Aufnahme haben, aber 

 

warten müssen, bis ein Platz in der Gruppe frei wird.  Bis zur Aufnahme wird telefonisch 

 

regelmäßig Kontakt zu dem Bewerber gehalten.   

 

 

Es ist vielleicht schon aufgefallen, wenn ich von den Klienten gesprochen habe, habe ich 

 

stets die männliche Form benutzt. Das hat Gründe. Es ist bekannt, dass kaum Frauen 

 

wegen Gewaltdelikten verurteilt sind und so haben wir sehr wenige Bewerberinnen für 

 

eine Aufnahme.  Derzeit ist  e i n e  Frau mit einer Auflage der Kammer bei uns. Sie erhält 

 

eine Einzeltherapie. 

 

 

Zum Schluss noch ein wenig Statistik und eine Bemerkung zu den Finanzen. 

 

Angefangen haben wir 2009 mit 7 Bewerbern, 2010 hatten wir schon 29 

 

Auswahlgespräche und die Zahl der Bewerbungen hat sich im Jahr 2018 auf 43 erhöht.

 

Davon sind 13 nicht zum Bewerbungsgespräch erschienen, mussten abgelehnt werden 

 

oder kamen nach dem Bewerbungsgespräch nicht zu den angebotenen Maßnahmen. Das 

 

ist so das Übliche. 

 

Bei Bedarf stellen wir Bestätigungen aus über die Häufigkeit der Teilnahme, inhaltliche 

 

Angaben geben wir nicht ab. 

 

 

Und nun noch ein Wort zu den Finanzen. Anfangs konnten im bescheidenen Maß 

 

Aufwandsentschädigungen gezahlt werden über erteilte Bußgelder und dank der 

 

Unterstützung einer kleinen Stiftung, weil ein Mitglied einer Strafvollstreckungskammer 

 

von der Notwendigkeit unsere Arbeit überzeugt war und die Stiftung von der 

 

Sinnhaftigkeit der Unterstützung überzeugen konnte.  

 

Darüberhinaus konnten und mussten wir uns finanzieren durch Übernahme der Kosten 

 

durch  die Bundesländer Baden-Württemberg und Hamburg für Therapien zweier in 

 

Hamburg lebenden aus der unbefristeten Sicherungsverwahrung Entlassenen, die von 

 

Andreas Fuchs und mir betreut wurden und bei denen  mittlerweile die 

 

Führungsaufsicht beendet ist und die, soweit ich weiss, ein unauffälliges Leben führen.  

 

In diesem Zusammenhang will ich jenseits allem Finanziellen die vertrauensvolle  und 

 

kontinuierliche Zusammenarbeit mit den Mitarbeiterinnen der Konzentrierten 

 

Führungsaufsicht würdigen. Vielen Dank, liebe Frau Steckhan und auch Frau Wittmaak, 

 

die leider inzwischen verstorben ist, ist zu danken.       

 

Seit dem Jahr 2013 erhalten wir nun und inzwischen auskömmlich Zuwendung der 

 

Justizbehörde, was wir sehr zu schätzen wissen. So konnten wir ein Büro- und 

 

Gruppenraum anmieten.  Wir haben Anlass, von Herzen  all denen zu danken, die sich 

 

über die Jahre hinweg für die finanzielle Absicherung eingesetzt haben. Es war nicht 

 

immer einfach. Wenn wir diese Zuwendung nicht erhalten hätten und weiterhin 

 

erhalten, hätten wir  unsere Arbeit nicht tun können und könnten sie nicht tun. 

 

Wir sehen in der Unterstützung des Vereins durch die Justizbehörde eine Würdigung 

 

seiner Arbeit im Sinn des Opferschutzes. 

 

Gefreut hat uns auch, als wir zusammen mit der Vater-Kind-Gruppe des Fürsorgevereins  

 

im Jahr 2016 den Helmut-Frenz-Preis erhielten. Begründung für die Verleihung: Der 

 

Helmut-Frenz-Preis würdigt Menschen und Institutionen, die sich für die Realisierung 

 

der Menschenrechte einsetzen. Auch derzeit durchaus ein aktuelles Thema.

 

Zu danken haben wir heute für Ihre Großzügigkeit, sehr geehrter Herr Senator, dass wir 

 

unser 10-jähriges Bestehen in diesen Räumen feiern dürfen. Zu danken haben wir auch 

 

für die Unterstützung von Vielen hier im Haus, die uns bei der Vorbereitung so vielfältig 

 

und bereitwillig unterstützt haben. 

 

Und herzlich zu danken habe ich auch für die Bereitschaft der Referentinnen und 

 

Referenten,  uns mit vielfältigen Beiträgen Informationen, Anstöße und Anregungen zu 

 

geben.  

 

So will ich Sie informieren, was noch zu hören sein wird: 

 

Nach einem Grußwort von Ihnen, Herrn Senator, auf das wir natürlich sehr gespannt 

 

sind, werden wir einen Beitrag von Dr. Gerhard Rehn hören. Zu Gerhard Rehn muss ich 

 

nicht viel sagen: Kenner des und Denker über den Strafvollzug, sein kritischer und 

 

konstruktiver Begleiter, vielfältiger Autor. Heute werden wir in seinem Beitrag auch 

 

einer persönlicheren Seite Gerhard Rehns begegnen. 

 

Damit Sie sich einen konkreten Eindruck von der Arbeit im Verein machen können,  

 

berichten zwei Frauen des therapeutischen Teams- Anna Kurek und Clara Remke, von 

 

ihren Erfahrungen mit der Klientel.

 

Nach einer Musik von Tornado Rosenberg war ein  Beitrag  von Frau Dr. Steffens 

 

vorgesehen über die Bedeutung des  Übergangsmanagements, in das sich der Verein 

 

sinnvollerweise eingebunden sieht. Leider musste  Frau Dr. Steffens aus persönlichen 

 

Gründen absagen. 

 

Last but not least hören wir einen vermutlich sowohl kritischen,  aber auch sicher 

 

anregenden Vortrag von Herrn Professor Scheerer.   Auch seine Überlegungen und 

 

Gedanken werden sicher vielfältige Anregungen geben für die anschließenden 

 

Gespräche bei Tee, Kaffee, Wasser Obst, Kuchen und Keksen.  

 

Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit und bitte nun Sie, sehr geehrter Herr Senator, um 

 

Ihren Beitrag.

Grußwort Senator Dr. Till Steffen

betrifft: Grußwort S zum zehnjährigen Bestehens des Vereins Aktiv gegen Gewalt e.V.   

Termin: Freitag, den 26. Juli 2019, von 14:00 bis 15:30 Uhr 

Sehr geehrte Frau Barth,

sehr geehrter Herr Dr. Rehn, 

sehr geehrter Herr Professor Scheerer, 

liebe Mitglieder des Vereins Aktiv gegen Gewalt e.V., 

sehr geehrte Damen und Herren, 

liebe Gäste, 

ich freue mich sehr, heute mit Ihnen das Jubiläum des Vereins Aktiv gegen Gewalt zu feiern! 

10 Jahre. So lange gibt es den Verein „Aktiv gegen Gewalt“ mittlerweile. Und so lange setzen sich seine Mitglieder schon für die Resozialisierung von Menschen, die Gewalttaten begangen haben, ein. So lange schon stehen Sie Menschen, die dringend spezialisierte Hilfe benötigen, zur Seite. Und so lange schon unterstützen Sie diese Menschen darin, den Übergang von einem Leben im Justizvollzug in ein Leben in Freiheit zu meistern. Auf diese Leistung können Sie sehr stolz sein. Zu Ihrem Jubiläum gratuliere ich Ihnen deshalb von ganzem Herzen! 

Sehr geehrte Damen und Herren, 

wir müssen der Realität ins Auge sehen: Gewalt ist ein allgegenwärtiges Phänomen in unserer Gesellschaft. Diejenigen von Ihnen, die im Hamburger Strafvollzug tätig waren und sind, wissen genau, wovon ich spreche. Besonders kritisch wird es aber, wenn Menschen mit einer hohen Gewaltbereitschaft aus dem Strafvollzug entlassen werden. In dieser entscheidenden Phase ist eine intensive Betreuung dieser Menschen notwendig, um künftige Gewalttaten aktiv zu verhindern. 

Diese Erkenntnis hat im Jahr 2009 eine Gruppe ehemaliger und aktiver Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in sozialtherapeutischen Einrichtungen dazu motiviert, den Verein „Aktiv gegen Gewalt“ zu gründen. Ziel ihres Vereins ist es, Menschen, die Gewalttaten begangen haben, therapeutisch zu begleiten. Dies gilt insbesondere für den Fall, dass diese Menschen inhaftiert sind und bald entlassen werden sollen. Aber auch Menschen, die Gefahr laufen, Gewaltstraftaten zu begehen, können sich an „Aktiv gegen Gewalt“ wenden. Der Verein bietet kostenlose gruppen- und einzeltherapeutische Maßnahmen für diese Menschen an. Darüber hinaus gehören aber auch Supervisionen, Fortbildungen und Coachings für beratend oder therapeutisch Tätige zum Repertoire des Vereins. Dabei verfolgt Aktiv gegen Gewalt nicht nur den Zweck, Menschen vor neuen Gewalttaten zu schützen. Es geht den Menschen im Verein zugleich darum, auch Straftätern menschlich zu begegnen und ihnen einen neuen Weg zu eröffnen. Diese Arbeit ist eine wichtige Ergänzung des Angebots staatlicher, privater und ehrenamtlicher Stellen. 

Gleichzeitig sind die Rahmenbedingungen für die Arbeit des Vereins nicht immer einfach gewesen – und sind es auch heute noch nicht. Umso dankbarer bin ich für das unermüdliche Engagement der vielen Ehrenamtlichen, die sich trotz aller Herausforderungen Tag für Tag für den Verein einsetzen. Zu ihnen gehörigen Menschen mit langjähriger Erfahrung als Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten, Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter, Psychiaterinnen und Psychiater sowie als ehemalige Gefängnisleiterinnen und Gefängnisleiter. Mit einigen von Ihnen – ich schaue insbesondere in die Richtung von Ihnen, Frau Barth, und Ihnen, Herrn Rehn, – verbindet mich eine Zusammenarbeit, die viele Jahre zurück reicht. Meine Begeisterung für die Sozialtherapie begann insbesondere durch meinen Kontakt mit Ihnen beiden. Mit Ihren Konzepten der Resozialisierung und Ideen für die Sozialtherapie im Vollzug haben Sie Hamburg geprägt und nachhaltige Veränderungen herbeigeführt. 

Dies ist mir noch mal besonders deutlich geworden, als ich mich in Vorbereitung auf die heutige Veranstaltung an meine letzte Laudatio zu Ehren des Vereins „Aktiv gegen Gewalt“ erinnert habe. Diese liegt etwas mehr als drei Jahre zurück – Anlass war die feierliche Verleihung des Helmut-Frenz-Preises an den Verein. Damals habe ich gesagt: Wir wollen Ihre wichtige Arbeit mit einem Landesresozialisierungsgesetz unterstützen. 

Heute ist dieses Resozialisierungsgesetz bereits seit mehreren Monaten in Kraft. Es macht Hamburg in Sachen Resozialisierung zum Vorreiter in Deutschland. Die Insassen haben einen Rechtsanspruch auf einen Eingliederungsplan. Stationäre und ambulante Maßnahmen zur Resozialisierung werden stärker verknüpft. Und das neue Übergangsmanagement bereitet Gefangene darauf vor, ein Leben ohne Straftaten zu führen. All diese Verbesserung sind auch Ihr Verdienst, liebe Helferinnen und Helfer des Vereins „Aktiv gegen Gewalt“. Sie haben durch Ihr Engagement dazu beigetragen, das Thema Resozialisierung in den Fokus zu rücken. Auch dafür gebührt Ihnen unser ausdrücklicher Dank! 

Liebe Gäste, 

Mahatma Ghandi – durchaus ein anerkannter Experte in Sachen Gewaltlosigkeit – hat mal gesagt:

„Wenn du etwas 2 Jahre lang gemacht hast, betrachte es sorgfältig!

Wenn du etwas 5 Jahre lang gemacht hast, betrachte es misstrauisch!

Wenn du etwas 10 Jahre lang gemacht hast, mache es anders.“

Auch wenn ich in vielen Dingen einer Meinung mit Herrn Ghandi bin, an dieser Stelle muss ich ihm dann doch widersprechen. Liebe Helferinnen und Helfer des Vereins Aktiv gegen Gewalt: Bitte machen Sie es nicht anders. Im Gegenteil: Machen Sie genauso weiter! Dass Sie aber Ihre Arbeit sorgfältig betrachten – davon bin ich überzeugt. 

Mit Ihrer Arbeit leisten Sie einen überragend wichtigen Beitrag für unsere Gesellschaft. Sie tragen nämlich nicht nur zu mehr Sicherheit und Schutz für die Opfer von Gewalt bei. Ganz entscheidend ist, dass Sie mit Ihrer Arbeit das Leben der Menschen, die sie begleiten, Stück für Stück besser machen. Damit geben Sie – um auf das Motto des Helmut-Frenz-Preises zurückzukommen – „der Menschlichkeit ein mutiges Beispiel“. 

Die heutige Veranstaltung ist genau der richtige Anlass, um diese Leistung zu würdigen. Ich gratuliere Ihnen deshalb nochmals ganz herzlich zu Ihrem Jubiläum und wünsche Ihnen und uns eine wunderbare Jubiläumsfeier. 

Vielen Dank! 


Vortrag Dr. Gerhard Rehn

Dr. Gerhard Rehn, Leitender Wiss. Direktor a D., ehemaliger Leiter der Sozialtherapeutischen Anstalt Hamburg-Altengamme

 

Dr. Gerhard Rehn verknüpft in seinem Beitrag „ In sozialer Verantwortung straffrei leben“ seinen eigenen beeindruckenden beruflichen Werdegang und die Entwicklung des Hamburger Strafvollzugs mit grundlegenden Gedanken für einem differenzierten Umgang und die professionelle Behandlung von Gefangenen eines auf fördernde prosoziale  Entlassungsvoraussetzungen und Resozialisierung ausgerichteten qualitativen Strafvollzugssystems. 

 

 

Zehn Jahre AgG

 

„Der Gefangene soll befähigt werden, nach der Entlassung in sozialer Verantwortung straffrei zu leben“ (Arno Weinert, 1972)

 

Gerhard Rehn

 

Was kann, was muss der Vollzug leisten, damit die Überleitung in eine nachsorgende Einrichtung gut vorbereitet gelingt? Das ist mein Thema. Und nun stehe ich vor Ihnen, wohl wissend, dass ich allen, die mit Straffälligen in unterschiedlichen Funktionen arbeiten, dazu nichts wirklich Neues sagen kann. Und nicht weniger als mir ist Ihnen auch bekannt, dass zwischen theoretischen Einsichten, empirischen Belegen, positiven Vorschriften in Gesetzen und Verfügungen, zwischen dem also, was notwendig und richtig wäre und der konkreten Praxis häufig ein sehr großer Unterschied besteht, – so verdienstvoll z.B. ein gutes Reso-Gesetz auch ist.

Da fehlt es an qualifiziertem Personal, Gebäude und Organisationsstrukturen sind mangelhaft, die Öffentlichkeit reagiert auf Aufsehenerregendes durchweg sehr negativ und für die Politik ist der Strafvollzug oft nicht mehr als ein Spielball von Parteiinteressen...

Viele ärgern sich dann über große Mängel, versuchen aber dennoch, das Beste daraus zu machen, andere nehmen sie gleichmütig hinmachen Dienst nach Vorschrift und manche fühlen sich ermutigt, ihre auf nichts als Strafe und Ausgrenzung gerichtete Orientierung auszuleben.

Vor allem das Gegenwärtige ist Ihnen besser als mir bekannt, denn ich bin bereits seit 2001 in Pension – gerade rechtzeitig, bevor der von Ole von Beust als Justizsenator berufene Kusch den Hamburger Strafvollzug, der bereits ein beachtliches Niveau erreicht hatte, zielstrebig und nachhaltig in einem erheblichen Umfang zerstörte. 

Bevor dies geschah, hatte Hamburg in zwei selbständigen Sozialtherap. Anstalten in Altengamme (seit 1984) und Bergedorf, das seit 1969 als Sonderanstalt existierte und erst mit der Übernahme der Leitung durch Astrid Barth ab 1989 zu einer qualitativ hochwertigen Sozialtherapie wurde, sowie im Übergangsvollzug des Moritz-Liepmann Hauses (MLH) sehr qualifizierte Angebote mit zusammen rund 140 Plätzen. Zudem standen in den Anstalten Vierlande und Glasmor zusammen 584 Plätze im offenen Vollzug zur Verfügung. Kusch gab das MLH und Altengamme auf und beendete die Selbstständigkeit der Sozialtherapie. Den offenen Vollzug an Erwachsenen reduzierte auf die 244 Plätze in Glasmoor. Die Gewährung von Lockerungen, Ausgang, Urlaub, Freigang, wurde radikal reduziert.. 

An den Folgen dieser Rosskur leidet der Hamburger Vollzug bis heute. Sie kennen das, auch das, was an Fortschritten inzwischen wieder erreicht wurde und was noch fehlt. Was kann trotz allem getan werden, um Gefangene optimal auf die Entlassung vorzubereiten? Ich will einige Antworten darauf aus Erlebnissen herleiten, die mich in der Vergangenheit beeindruckt und auf die Reformspur gebracht haben:

Im Alter von 14 bis 17 Jahren habe ich in der DDR in den Zellstoffwerken Pirna/Heidenau eine Facharbeiterlehre absolviert. Wenn wir Lehrlinge beisammen saßen, habe ich mich zu verbreiteten Missständen gern freimütig geäußert. Dann hieß es: „Mensch, Gerhard, halt die Klappe...“ Dabei hielt ich meine Kritik durchaus für konstruktiv. Aber sie war in einem autokratischen System unerwünscht und gefährlich. Ich verließ die DDR nach der Lehre und nahm mit: Autoritäre Strukturen machen Angst, lähmen Initiative und fördern Duckmäusertum. Positiv gewendet: Freimütige Kritik in angstfreien Verhältnissen ist eine wichtige Grundlage für ein erfolgreiches Wirken in einem humanen Werten verpflichteten Umfeld. 

Als ich dann später Sozialarbeiter werden wollte, musste ich meine Eignung in einem Vorpraktikum deutlich machen. Das führte mich in ein für damalige Verhältnisse fortschrittliches Kinderheim. Eines Tages wurden zwei Mädchen im Vorschulalter zu uns verlegt, die bis dahin nur ein Säuglings- und ein Kleinkinderheim kennen gelernt hatten. In der alters- und geschlechtsgemischten Gruppe lebten sie auf und holten Vieles nach. Wie wichtig das war, zeigt folgendes Erlebnis: Bei einer kleinen Wanderung der Gruppe gingen wir auch über ein Stoppelfeld. Das stachelte an den kleinen Beinen. So nahmen wir, die Erzieherin und ich, je ein Mädchen auf die Schulter. Von oben kam die Frage, was das da unten ist. Ich: Da wuchs Getreide, da wird Brot draus gemacht usw... Dann kam die Frage: Und was kommt dort. Ich: Da wachsen Kartoffeln in der Erde usw... Erst Ruhe, dann die Frage: Und wo kommt die Soße??

Was in anregenden Umwelten beiläufig aufgenommen wird und Persönlichkeiten bildet, kann in ungünstigen Verhältnissen mehr oder minder fehlen und erhebliche Mängel hinterlassen. Daraus folgt: Auch der berufliche Alltag ist so zu organisieren, dass er aus sich heraus anregend wirkt. Die in ihn eingebetteten speziellen Lern- und Therapieangebote erlangen so optimale Wirkung. 

Das Berufsanerkennungsjahr führte mich nach Hamburg, in den Hansischen Jugendbund (HJB) zu Frau Sülau. Für den HJB war die Integration der drei Methoden der Sozialarbeit, Einzelfallhilfe, soziale Gruppenarbeit und Gemeinwesenarbeit sowie die Kombination von Schutzaufsicht und Jugendfürsorge mit traditionellen Angeboten der Jugendpflege charakteristisch. 

Im HJB habe ich vor allem vier Dinge gelernt: Erstens: Die Einbettung einzelfall- und gruppenorientierter pädagogischer und therapeutischer Angebote in das Ganze eines Gemeinwesens ist mehr und besser als die Summe noch so guter, aber unverbundener Einzelmaßnahmen. Zweitens: Zuwendung und Kommunikation auf Augenhöhe bei gleichzeitiger Wahrung der professionellen Distanz schafft Vertrauen und fördert Erkenntnisse. Drittens: Intensiver Austausch in häufigen und regelmäßigen Mitarbeiterbesprechungen, in die alle haupt- und nebenamtlichen Mitarbeiter und alle freiwilligen Helfer eingebunden werden, sind Garanten einer gemeinsamen Zielorientierung und Arbeitshaltung und schließlich viertens: Eine Organisationsstruktur, in der Verantwortung gezielt auch auf die Betreuten übertragen wird und in der es Freiräume für die Entfaltung von Personen und Ideen gibt bei einer gleichzeitig wachen, direkten und bei Bedarf auch konfrontativen Intervention, wenn die Dinge aus dem Ruder zu laufen drohen, ist eine weitere Grundlage einer professionell fundierten und erfolgreichen Arbeit.

Wichtige Erkenntnisse bezog ich später aus meinem Soziologiestudium, vor allem aber aus der anschließenden Tätigkeit als Forschungsassistent in einem Aktionsforschungsprojekt, das zwischen der Justizbehörde Hamburg und dem Seminar für Sozialwissenschaften an der Uni Hamburg im engen Zusammenwirken von Eva Rühmkorf mit Prof. L. Pongratz vereinbart worden war. Ziel war es, die Praxis des 1972 eröffneten Übergangsvollzuges im Moritz-Liepmann-Haus (MLH) ganz konkret praktisch mit zu gestalten und wissenschaftlich zu kontrollieren. So lernte ich erstmals leibhaftige Straftäter mit einer z.T. langen Karriere kennen und konnte in Gruppenarbeit und Einzelbetreuung erfahren, was es bedeutet, sie auf ihrem Weg ein Stück zu begleiten. Außerdem lernte ich, Daten zu erheben, auszuwerten und sowohl Praxiserfahrungen als auch Erhebungsergebnisse intensiv, kritisch und auf Verbesserungen gerichtet zu diskutieren. 

Als Eva Rühmkorf 1973 die Leitung der Jugendanstalt Vierlande übernahm, schlug sie mich als ihren Nachfolger vor. So wurde ich ab Sept. 1973 Grundsatzreferent unter der vorbildhaften und anregenden Leitung von Arno Weinert. Sein beharrlich vorangebrachtes Ziel formulierte er in einer Zwischenbilanz aus dem Jahr 1972 so: Es komme darauf an, den in der Vergangenheit z.T. einseitig auf Verwahrung gerichteten Vollzug eine andere Aufgabenstellung zu geben: „Der Gefangene soll befähigt werden, nach der Entlassung in sozialer Verantwortung straffrei zu leben.“ 

Eine meiner Aufgaben im Amt war es, für Hamburg eine zweite Sozialtherapeutische Anstalt (SthA) zu planen. Erst 1984 war es endlich so weit. Ein vom Amt für Jugend in Altengamme errichteter Neubau passte nicht mehr in deren Konzept und war – nach geringen Ergänzungen – als SthA bestens geeignet. Auf der Grundlage engagierter Entscheidungen der Senatorin Leithäuser und des Amtsleiters Weinert konnte ich dort - gemeinsam mit einer hervorragenden Gruppe engagierter Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter – versuchen, die hier dargelegten Erfahrungen in einem schlüssigen Konzept umzusetzen. 

Bei allem war mir stets klar, dass die Chance, Sozialtherapie, so wie in Altengamme, gestalten zu können, auch ein Privileg war und ist. Jedoch steht und fällt die Qualität eines Strafvollzugssystems mit dem Grad seiner Differenzierung. Es ist aus meiner Sicht unerlässlich, den zu großen Anstalten des offenen und geschlossenen Vollzuges kleine Einrichtungen zuzuordnen, in denen mit dem dafür erforderlichen Betreuungsaufwand das Resozialisierungswerk fortgesetzt werden kann. Es ist wichtig, dass alle dieses Ganze sehen, das sich ergänzen und wechselseitig befruchten muss.

Die Sozialtherapie ist nicht nur eine umfassende, auf einen bestimmten Anstaltstyp bezogene Theorie. Sie ist auch eine Methode, die - entsprechend modifiziert - in anderen Umfeldern handlungsleitend sein kann. Ein anregender Alltag – soweit irgend möglich - fördert Lernen auf beiläufige Weise und lässt den einzelnen Insassen (aber auch den einzelnen Mitarbeiter) im positiven und negativen Sinne kenntlich und für Interventionen zugänglich werden. Der intensive, regelmäßige und vor allem auch interdisziplinäre berufliche Austausch stärkt ein positives Wir-Gefühl und die Leistungsbereitschaft der Mitarbeiterschaft und fördert mittelbar auch prosoziale Einstellungen und Verhaltensweisen bei den Gefangenen. Die intensive Zusammenarbeit mit therapierenden und/oder überleitenden Einrichtungen innerhalb und außerhalb des Vollzuges trägt ganz wesentlich zu einer gelingenden Resozialisierung bei und verhindert so weiteres Unglück durch straffälliges Verhalten. Usw.

Das alles trägt zu einer gut vorbereiteten Entlassung bei. Es erfordert und verdient daher die nachhaltige Unterstützung durch die Behördenleitung und durch die ihr nachgeordnete Mitarbeiterschaft. 

Zum Schluss: Und was soll mit denen geschehen, die sich hartnäckig als besserungsunwillig oder besserungsunfähig, vielleicht als gefährlich erweisen? Da bleibt dann nur der geschlossene Vollzug – hoffentlich vorübergehend. Denn für uns gilt und bleibt nur das Motto „NIEMANDEN AUFGEBEN“, um den von Klaus Neuenhüsges gewählten Titel seiner verdienstvollen, kurzen Geschichte des Hamburger Strafvollzuges zu zitieren.

 

Vortrag Prof. Dr. Sebastian Scheerer

Prof. Dr. Sebastian Scheerer, ehem. Leiter des Instituts für Kriminologische Sozialforschung

 

Professor Sebastian Scheerer befasst sich - ausgehend von baulichen Bedingungen im Vollzug- in seinem Vortrag „Small is beautiful“ mit den Voraussetzungen einer gelingenden Rückfallprävention. Anhand von entsprechenden  Beispielen erläutert er die Chancen und Vorzüge eines in kleinen Einheiten praktizierten Vollzuges, die einen differenzierten Umgang und ein adäquates Einwirken auf Insassen inclusive eines individuellen Übergangsmanagements für eine (Wieder-)Integration erst ermöglichen.

 

 

 

Small is beautiful

Für die Ersetzung von Gefängnissen durch kleine Hafthäuser

 

Sebastian Scheerer 

                                                                  

  1. Reentry 

In der Welt der Raumfahrt gilt die Phase des Wiedereintritts in die Erdatmosphäre – im Fachjargon spricht man von reentry - als the final most dangerous hour: zweiundzwangzigfache Schallgeschwindigkeit, nur ein möglicher Neigungswinkel, fünfzehntausend Grad Reibungshitze – und nur eine einzige Chance. Wenn auch nur irgendetwas schief geht, dann war’s das. 

Der Begriff wird aber auch für alle anderen Arten des Wiedereintritts benutzt. So heißt zum Beispiel im Justizvollzug der USA das Übergangsmanagement reentry management, und die auch als halfway houses bekannten Übergangswohnheime werden offiziell gerne als residential reentry centers (RRCs) bezeichnet.

Zwischen dem kosmonautischen und dem vollzuglichen Reentry liegen natürlich Welten. Vor allem wird ersterer aus naheliegenden Gründen mit gigantischem Aufwand vorbereitet und verläuft fast immer zur Zufriedenheit aller Beteiligten.

Viel zu oft scheitert hingegen der vollzugliche Reentry. Das ist enttäuschend und kostspielig: es ist teuer für die Opfer der erneuten Delikte, teuer für die Entlassenen und teuer für Staat und Gesellschaft. Was also liegt näher, als alles zu tun, um solche Drehtür-Effekte durch umfassende frühzeitige und sorgfältige Planung zu vermeiden?

Die Basis für eine gelingende Rückfallprävention – und damit für Reintegration, Opferschutz und öffentliche Sicherheit – wird bekanntlich schon während des Vollzugs gelegt. In den USA hat sich zum Beispiel das für alle Bundesgefängnisse zuständige Bureau of Prisons (BOP) ausdrücklich zu dem dort als philosophy bezeichneten Grundsatz bekannt, that reentry preparation must begin on the first day of incarceration. [1] Ganz ähnlich in Hamburg, wo „der Weg zurück in die Gesellschaft selbstverständlich bereits kurz nach der Inhaftierung“ beginnt, [2] man im Strafvollzug inzwischen von Resozialisierungs- statt Vollzugsplanung spricht, und das neue Resozialisierungs- und Opferhilfegesetz (HmbResOG) im Rahmen eines integrierten Übergangsmanagements individuelle Eingliederungspläne anbietet. Das ist ein großer Fortschritt. Im Prinzip. 

Aber wird das genügen? Dass Postulate allein die Welt nicht verändern, zeigt die Kluft zwischen philosophy und reality in den USA. Dort, wo die Rhetorik am schönsten ist, scheitert der Übergang mit geradezu fataler Regelmäßigkeit – immer noch. Denn von allen 400 000 Gefangenen, die im Jahre 2005 aus der Haft entlassen worden waren, waren im ersten Jahr nach der Haftentlassung 44, innerhalb von drei Jahren 60 und innerhalb von neun Jahren über 80 Prozent wieder verhaftet worden, darunter viele mehrmals. Alle zusammen brachten es in den neun Jahren auf zwei Millionen Wiederverhaftungen, also im Durchschnitt fünf pro Person. [3] Offenbar trägt die zitierte philosophy also schlechterdings nicht die erhofften Früchte. Vielleicht hat man offenbar den Kern des Problems noch gar nicht lokalisieren können. Oder man hat sich nicht getraut, ihn anzupacken. 

 

  1. Das Dilemma der Gefängnisse

Nun gibt es für das Scheitern meist mehr als nur einen Grund. Das sollte aber nicht dazu verleiten, alle für gleich wichtig oder unwichtig zu halten – oder relevante Faktoren von vornherein auszuklammern, wenn man glaubt, sie sowieso nicht ändern zu können.

Der Faktor von entscheidender Bedeutung, den man im Zusammenhang mit der Vorbereitung des Reentry regelmäßig nicht zu thematisieren pflegt, ist die räumliche Beschaffenheit des Strafvollzugs selbst. Genauer gesagt: unsere Tradition, die Freiheitsstrafe in Gefängnissen zu vollziehen – und nicht, was ja auch denkbar wäre, in kleinen, in die Wohngegenden integrierten Hafthäusern.

Als der Hamburger Senat 1832 erstmals an den Bau eines modernen Gefängnisses dachte, waren große Zellengefängnisse mit langen Fluren und nebeneinander liegenden Zellen tatsächlich der letzte Schrei. Reformer aller Länder strömten nach Amerika, um das 1829 in Philadelphia eröffnete Eastern State Penitentiary zu bewundern und sorgten für Nachbauten in London (1842), Bruchsal (1848) und in der Form eines „preußischen Mustergefängnisses“ in Moabit (1849) – an dem sich dann ab Baubeginn 1869 auch die Hamburger (Fuhlsbüttel) orientierten. All das brachte einen unleugbaren hygienischen und disziplinarischen Fortschritt, der zusammen mit anderen Funktionalitäten und Symboliken wohl das Geheimnis des (wenn schon  nicht resozialisierenden, so doch politisch-administrativen) Erfolgs der großen Verwahranstalten war.

Das Problem war und ist nur eben, dass es diese Vorteile nicht umsonst gab und gibt: insbesondere macht die Vielzahl von Gefangenen in einem Gebäudekomplex generalisierte Sicherheitsmaßnahmen erforderlich. Unabhängig davon, welcher philosophy Anstaltsleitung und Personal anhängen, bilden Befehl und Gehorsam, Widersetzlichkeit und Sanktionierung die wenig variablen Grundmuster des Anstaltslebens. Das bedeutet pauschalisierte Verbote und massenhafte individuelle Frustrationen über Ablehnungen und Versagungen in einem Raum, der Subkulturen, Frontbildungen, Frustration, Depression und Aggression fördert, also Phänomene, die mehr mit dem Leiden, Leben und Überleben in der totalen Institution als mit der Vorbereitung auf Haftentlassung und Eingliederung zu tun haben. Und zudem hat sich in der Fachwelt seit langem schon herumgesprochen, dass diese Art der Unterbringung auf einem ganzen Bündel fehlerhafter Annahmen über die Wirksamkeit von sozialer Isolation und Anpassungsdruck beruht, dass die entsprechenden Anstalten diesen Irrtümer förmlich in Stein meißeln und deshalb als „steingewordene Riesenirrtümer“ apostrophiert wurden.

Menschen sind eben räumliche Wesen: sie können Räume gestalten, aber die Räume wirken auch auf sie zurück. Wie Winston Churchill sagte: “We shape our buildings and afterwards our buildings shape us.” [4]

Im Klartext: wenn eine Anstalt auf räumliche Konzentration, Isolation und Fremdbestimmung ausgelegt ist, dann lässt sie sich nicht mir-nichts-dir-nichts umfunktionieren, also etwa von Konzentration auf Streuung, von Isolation auf Bindung und von Fremdbestimmung auf Befähigung.

Zellengefängnisse und Großanstalten sind kein günstiges Biotop für die Entwicklung von Vertrauen, Reflexion und Verantwortungsübernahme. Das ist eigentlich für niemand etwas Neues. Es wird aber nicht häufig genug daran gedacht, es wird nicht nachdrücklich genug gesagt und es wird nicht entschieden genug etwas dagegen getan. 

 

  1. Das Potential kleiner Hafthäuser

Anstaltsleiter wissen das oft nur zu gut. Ich denke dabei an Thomas Galli, dessen Erfahrungen ihn dazu bewogen haben, einen Verein namens „Strafe der Zukunft e.V.“ zu gründen, Zellengefängnisse zu kritisieren und für eine humane Fortentwicklung des Strafrechts und des Strafvollzugs zu kämpfen. Ich denke auch an den Belgier Hans Claus, der seit 1986 im Strafvollzug tätig ist, gegenwärtig eine Anstalt bei Gent leitet und ebenfalls einen Verein gegründet hat, der „de Huizen“ (die Häuser) heißt und einen radikalen Bruch mit dem anstrebt, was wir normalerweise unter Inhaftierung verstehen, nämlich die Ersetzung großer Gefängnisse durch kleine Hafthäuser, weil Probleme in kleinem Maßstab eher beherrschbar sind als im großen – und weil viele Probleme der großen Anstalten seiner Überzeugung nach in kleinen überschaubaren Settings gar nicht erst auftauchen würden.

So wie man aggressive junge Männer in kleinen Gruppen besser kontrollieren kann als in großen, so sollte man auch Gefangene in überschaubaren Hafthäusern von maximal zehn Bewohnern unterbringen, wo sie stärker als Individuen wahrgenommen werden und von vornherein schon jemand sind und nicht erst in einer anonymen Subkultur voller Bedrohungen und Gefahren jemand werden müssen. Schon das, so Claus, erleichtere alles. 

  • Überschaubarkeit statt Größe bedeutet: maßgeschneiderte Wiedereingliederungspfade, einen persönlicheren Ansatz, weniger Bürokratie, dynamische Sicherheit und mehr Möglichkeiten zur Übernahme von Verantwortung 
  • Differenzierung statt Generalisierung bedeutet, dass die Gefangenen in das richtige Sicherheitsniveau eingeteilt werden und ihnen genau passende Programme angeboten werden; das ist effektiv und kostengünstig
  • Integration statt Isolation und Absonderung bedeutet, dass Gefangene so weit wie möglich die normalen Angebote und Dienstleistungen wahrnehmen, dass aber jedes Hafthaus auch eine Bereicherung für die jeweilige Nachbarschaft darstellt. 

Es geht darum, jeden Insassen individuell auf das Leben in Freiheit vorzubereiten: durch Anregungen und Hilfen, ein soziales Netzwerk und eine positive soziale Rolle als Rückfallhemmnis aufzubauen. Die Grundidee könnte man auch so formulieren, wie es in Hamburg in ähnlichem Kontext schon einmal hieß: „Menschen statt Mauern“. [5] 

Hafthäuser sind also bereits als Einladung an die Inhaftierten konzipiert, sich als Teil der Gesellschaft zu begreifen und zu entwickeln. Das fängt mit der Selbstorganisation der Wohngruppe an, hört damit aber nicht auf, zumal die Häuser auch für Familienangehörige, Sozialarbeiter sowie die von Taten Betroffenen und deren Familien zugänglich sind. All das ist in kleinem Maßstab eher möglich als in Großanstalten. Wer so eingewoben ist in ein Netz vielfältiger Rollen und menschlicher Beziehungen (einschließlich moderner Kommunikationsmittel), der folgt anderen Gesetzen als denen in der Großanstalt – und wird sich letztlich sachorientierter und produktiver mit anderen und mit sich selbst auseinandersetzen. Auch für die Opfer von Straftaten ist es vorteilhaft, den Täter in der Nähe zu wissen: was der Täter während seiner Haft genau tut, sollte den Familienangehörigen der Opfer durchaus bekannt sein. Das ist besser als die Unkenntnis über den in einer Großanstalt versteckten Täter. Wie Hans Claus sagt: „Als Opfer steht man in der Kälte und hat viele Fragen." [6]

 

  1. Diskussion

Lasst uns die großen Gefängnisse schließen und durch kleine Hafthäuser ersetzen! Das ist das aus praktischer Erfahrung geborene Gegenmodell zum Anstaltsideal des frühen 19. Jahrhunderts. In einem Verbund mehrerer Vereine und Institutionen unter der Bezeichnung „Rescaled“ (etwa: im Maßstab verändert) will Hans Claus mit seinem Verein de Huizen mittlerweile in ganz Europa das Bewusstsein für die Chancen wecken, die in einer radikalen Abwendung von Gefängnissen alten Typs liegen. [7] 

Gegen die Radikalität der Reformideen lässt sich natürlich manches vorbringen. Man könnte fragen, wo denn da überhaupt noch die Strafe bleibt (und müsste lernen, dass auch eine Verurteilung zu Freiheitsverlust und oktroyierter Hilfe eine Strafe sein kann); man könnte an die von Franz von Liszt einst so genannten Unverbesserlichen und die Sicherheitsrisiken denken (und müsste auch Hafthäuser mit höchster Sicherheitsstufe organisieren: dass das aber keine Zellengefängnisse mit Käfighaltung sein dürften, versteht sich hoffentlich von selbst – ebenso wie die Tatsache, dass auch und gerade diese Menschen Anspruch auf die Achtung ihrer menschlichen Würde haben und auf einen Umgang mit ihnen, der das unzweideutig erkennen lässt). Dass kleine Hafthäuser in Wohngegenden nicht unveränderlich auf Ablehnung der Anwohner treffen müssten, sondern ähnlich wie die Hospize allmählich akzeptiert und positiv bewertet werden können, ist eine Entwicklung, an der man auch arbeiten kann. Bedenken wegen der Kosten wäre entgegenzuhalten, dass die höhere Effektivität kleinerer Anstalten und damit ihre Rentabilität schon belegt ist – ein Faktum, das auch haushaltspolitisch für die Ersetzung der Großanstalten spricht.  Sozusagen theoretisch denkbar wäre natürlich auch eine abolitionistische Klage darüber, dass es sich um eine Verbesserung und nicht die Überwindung der Freiheitsstrafe handelt. Doch stünden sie einer solchen Perspektive auch nicht im Wege, könnten die Hafthäuser doch als Schritt auf dem Weg angesehen werden, den Johannes Feest als Abschaffung durch Angleichung zu empfehlen pflegt.

Last not least könnten gerade Hamburger müde abwinken und sagen: das ist alles nichts Neues, so etwas Ähnliches gab’s doch schon mal in den kleinen Anstalten wie Altengamme und Bergedorf oder auch mit dem Moritz-Liepmann-Haus. Zumindest war man seinerzeit tatsächlich schon näher dran – und ausgesprochen erfolgreich. Bis man die kleinen Anstalten im Rahmen einer law and order Kampagne mit einem Einsparungsversprechen von jährlich bis zu 0,7 Mio. Euro gegen den lebhaften Protest der Fachwelt schloss. Gerade das zeigt aber, wie wichtig auf jedem Weg nach vorn gerade auch der Blick zurück ist. Von den Pionierinnen und Pionieren eines menschlicheren und effektiveren Strafvollzugs lässt sich heute schon für morgen Kraft schöpfen. Der außerhalb der Mauern arbeitende Verein „Aktiv gegen Gewalt“ würde auch in die Welt der kleinen Hafthäuser passen und hätte dort beste Voraussetzungen. Astrid Barth, Gerhard Rehn und ihre Mitstreiterinnen und Mitstreiter vermitteln heute schon einen Eindruck davon, was es heißen könnte, in einem wahrhaft modernen Gemeinwesen zu leben: in einem Hamburg ohne seine steingewordenen Riesenirrtümer.


[1] Bureau of Prisons (2017) Prison Reform: Reducing Recidivism by Strenthening the Federal Bureau of Prisons (https://www.justice.gov/archives/prison-reform)

[2] Justizbehörde: Der Weg in ein straffreies Leben. Resozialisierung (https://www.hamburg.de/justizbehorde/justizvollzug/11078696/resozialisierung)

[3] Department of Justice. Office of Justice Programs. National Institute of Justice, 2019: Recidivism (https://www.nij.gov/topics/corrections/recidivism/pages/welcome.aspx)

[4] Rede im Unterhaus 28.10.1943 (https://api.parliament.uk/historic-hansard/commons/1943/oct/28/house-of-commons-rebuilding)

 

[5] Dorothee Bittscheidt & Timm Kunstreich (2014) „Menschen statt Mauern“. (https://www.ssoar.info/ssoar/bitstream/handle/document/49683/ssoar-widersprueche-2014-1-bittscheid_et_al-Menschen_statt_Mauern__Die.pdf?sequence=1&isAllowed=y&lnkname=ssoar-widersprueche-2014-1-bittscheid_et_al-Menschen_statt_Mauern__Die.pdf)

[6] Vgl. Hans Claus et al. & Liga voor Mensenrechten (2013) Huizen. Naar een duurzame penitentiaire aanpak. Brüssel: Academic and Scientific Publ.

[7] Rescaled. Movement for small-scale detention (2019): https://www.rescaled.net

Vortrag Anna Kurek

Jubiläumsfeier – 10-jähriges Bestehen von Aktiv gegen Gewalt 26.07.2019

 

Verehrte Gäste,

mein Name ist Anna Kurek. Ich studiere Psychologie an der Medical School Hamburg und befinde mich gerade in den Entzügen meiner Bachelorarbeit.

Bei Aktiv gegen Gewalt e. V. engagiere ich mich seit Januar dieses Jahres. Ich bin auf den gemeinnützigen Verein durch mein Praxissemester, welches ich in der Sozialtherapeutischen Anstalt Hamburg beim psychologischen Dienst absolviert habe, aufmerksam geworden. 

 

Warum ist die Arbeit bei Aktiv gegen Gewalt für mich, als Frau, so wichtig? 

Dazu kann ich Ihnen zunächst von einer meiner ersten Begegnung, an die ich mich sehr gut erinnere, während der ersten zwei Wochen meines Praktikums in der Sozialtherapeutischen Anstalt berichten. 

Als ich nach einigen Tagen meinen eigenen Schlüssel erhalten habe, konnte ich mich in der Anstalt frei bewegen und konnte somit morgens eigenständig die Anstalt betreten. Zwei inhaftierte Herren, die zur Putzkolone gehörten, wischten jeden Morgen die Flure im Eingangsbereich der Anstalt. 

Der eine Herr grüßte jeden morgen ganz freundlich, der andere hob nicht einmal den Kopf. Dazu muss man sagen, dass der sehr freundliche Herr, ein etwas älterer und kleinerer Herr war, der andere jedoch mittleren Alters und 4-Köpfe größer als ich und dem Aussehen nach sehr sportlich und offensichtlich tätowiert, was im ersten Moment auch ein leichtes Unbehagen in mir auslöste. 

Nach einigen Tagen traf ich morgens beim Betreten der Anstalt nur noch den Herren an, der mich nicht grüßte. Ich fragte mich, was wohl mit dem freundlichen Herrn geschehen war? Wie ich später erfuhr, wurde er nach Bergedorf verlegt. Ersatz gab es für ihn nicht und somit wischte der Herr der mich nie grüßte morgens alleine den Flur. 

Nach ein, zwei Tagen betrat ich wie immer morgens die Anstalt, und der besagte Herr wischte über den Flur. Beim Vorbei gehen, grüßte ich ihn wie immer und erwartete keine Reaktion, doch als er mich sah stellte er sich mitten in den Gang, fast wie ein Soldat ganz, starr und aufrecht, mit dem Wischmopp an der Seite auf und flüsterte, als ich auf seiner Höhe war, „Na du?“ – Innerlich hab ich mich total verjagt, doch äußerlich zeigte ich keine Reaktion und bin einfach weiter zur Zentrale gegangen. 

In den nächsten Tagen folgten ähnliche Aktionen, dieses Verhalten habe ich selbstverständlich unmittelbar den Beamten gemeldet, dazu muss man auch sagen, dass er wahrscheinlich männlichen Beamten gegenüber so ein Verhalten nicht an den Tag gelegt hätte, aber ich habe mich gefragt, was wohl in ihn gefahren sei? Für mich war die Sache klar, er wollte mir Angst machen und mich einschüchtern. 

Worauf ich hinaus möchte ist, dass es außerordentlich wichtig ist, dass Frauen im Vollzug arbeiten und umso wichtiger, dass Frauen in der Nachsorge von Straftätern arbeiten. Das habe ich in den ersten zwei Wochen meines Praktikums gelernt, da man ein Gefängnis mit einem in sich geschlossenen Mikrosystem vergleichen kann, wobei nichts von außen eindringen kann und nichts von innen nach außen durchdringen kann. Männer, die inhaftiert sind, müssen auch mit uns Frauen konfrontiert werden, da dieses Mikrosystem sonst eine Verfälschung der Realität bzw. Gesellschaft darstellt. Schließlich sind Frauen in allen Bereichen der Gesellschaft vertreten und wenn diese Männer im Gefängnis und auch in der Nachsorge abgeschottet werden würden, müsste man sich die Frage stellen, was passieren würde, wenn jemand der Jahre lang in diesem Mikrosystem eingeschlossen war, plötzlich entlassen wird? 

Somit ist die Arbeit der Nachsorge, insbesondere die von Aktiv gegen Gewalt, umso wichtiger. Zum einen, eine Begleitende Stütze für das Leben in Freiheit zu schaffen die den Entlassenen bei der Wiedereingliederung in die Gesellschaft behilflich ist und um die Rückfälligkeit zu verringern, zum anderen den Umgang und auch die Konfrontation mit Frauen zu begleiten. Einen vernünftigen Umgang zu lernen, Respekt und Regeln zu lernen und auch Grenzen zu akzeptieren.

 

Vielen Dank

 

Anna Kurek ist Psychologie-Studentin (B.  Sc. Can.) im 6. Semester

 

 

 


Vortrag Clara Remke

Anna hat es erwähnt – das Gefängnis ist ein kleiner Mikrokosmos. Ich arbeite jetzt seit zweieinhalb bzw. fast drei Jahren im Mikrokosmos Fuhlsbüttel, im Regelvollzug. 

Auch seit zwei Jahren bin ich aktives Mitglied bei Aktiv gegen Gewalt. Als meine Kollegin Gundela Stahl, die ich noch aus ferneren Praktikumszeiten in der Außenstelle Bergedorf kenne, fragte, ob ich mitwirken möchte, habe ich gar nicht lange überlegt.

In Fuhlsbüttel im Haus II arbeite ich als Psychologin auf der sogenannten Jungtäterstation. Es gibt dort, was ja im Hamburger Regelvollzug eher eine Ausnahme ist, Gruppenbehandlungsangebote und Einzelgespräche. Wir, d.h. heißt ein Wohngruppenbeamter, zwei Kolleginnen aus dem AVD, ein Abteilungsleiter und ich, versuchen unter den gegebenen, ja doch oft sehr wechselhaften Bedingungen, unser Möglichstes, so etwas wie Milieutherapie zu realisieren. Und wenn diese, oftmals auch noch sehr jungen Leute, dann alles durchlaufen haben und sich getraut haben, sich mit sich selbst auseinander zu setzen, dann habe ich mich zu Anfang gefragt und eigentlich frage ich mich das immer noch: Was bringt das eigentlich alles, was ich hier mache? Was machen sie jetzt mit all dem, was sie im Gefängnis erlebt haben da draußen? Wie kann ein Übergang von einem so geschlossenen, ja sehr durchorganisierten System, in den offenen Vollzug ohne weiterführende Nachsorge, die da anknüpft, wo es bei der Verlegung in den Offenen aufhört, überhaupt funktionieren? Weg von den strikt vorgegebenen Weck-, Aufschluss-, Zähl-, Arbeits- und eben in allen Bereichen fest gelegten Zeiten. Weg von der fast totalen Vorgabe jeglicher Strukturen, die ja trotz all der damit einhergehenden Autonomiebeschränkung, Orientierung und Halt geben. 

Jeder, also fast jeder, der nach Fuhlsbüttel kommt, möchte schnellstmöglich raus in den Offenen. Was das letztlich dann aber bedeutet – das so leicht Gesagte „Selbstständig in sozialer Verantwortung leben“ – vom eigenständigen Aufstehen, langen Fahrtwegen, Behördengängen, familiären Schwierigkeiten, dem „Wieder Platz finden in der eigenen Familie als Vater, Ehemann und Sohn“, das steht oft im krassem Gegensatz zu dem zwar sehr eintönigen, aber eben auch klar vorgegebenen und damit die Selbstständigkeit lähmenden geschlossenen Regelvollzug. Und selbst wenn im geschlossenen Vollzug mal etwas außer der Reihe läuft, irgendein Ansprechpartner ist schon da, hilft und richtet es. Und genau bei diesem Übergang, zwischen der Abhängigkeit, dem Ohnmachtserleben im geschlossenen Kosmos und der plötzlich doch sehr anstrengenden Freiheit, bietet Aktiv gegen Gewalt finde ich eine gute Stütze und Begleitung. 

 

Dabei geht es in den Gruppensitzungen gar nicht immer um Biographien, Gewalt und die Taten, die jemand begangen hat. Es geht um all das, was meines Erachtens zur Delinquenzarbeit dazu gehört. Das ist wichtig, denn, wie Astrid schon sagte, am Ende geht es um Opferschutz. 

Zur Delinquenzarbeit gehört, finde ich, mehr als über das Delikt, die Tat zu sprechen. Denn auch der Mensch, der dort vor mir sitzt, ist mehr als seine Tat. Um ein Leben in sozialer Verantwortung führen zu können, ist es wichtig sich selbst besser zu verstehen und vor allem eigene Gefühle erkennen und einordnen zu können. 

Wer bin ich eigentlich und wo gehöre ich hin? Gehöre ich zur „Straße“ oder gehöre ich in das „normale“ Leben mit einem „normalen“ Job? Und was denken die anderen dann von mir? Und überhaupt überfordert es mich, plötzlich die Bedürfnisse aller um mich herum, meiner Frau, meiner Kinder, meiner Eltern, meines Chefs bedienen zu müssen. Am Ende scheitere ich, bin enttäuscht von mir selbst, ein Versager und fühle mich ziemlich allein gelassen und einsam. Und dann kommt die Wut. 

Einsam-sein und Sich-verloren-oder-fremd-fühlen ist ein wohl bekanntes Gefühl unserer Klienten. Vielen fällt es schwer in Beziehung zu gehen und Nähe, also emotionale Nähe, zuzulassen und auszuhalten. Der Übergang von drinnen, wo es – im besten Fall – dann doch auch mal Beziehung (also damit meine ich jetzt eine sichere Beziehung mit der professionellen Nähe und Distanz) gab, zum Übergang nach draußen, dann wieder mit dem so oft erlebten Beziehungsabbruch, verstärkt das Einsamkeitsgefühl oftmals. So sagen zumindest unsere Klienten selbst. Sie müssen ganz von vorne anfangen, bei jeder neuen Begegnung immer wieder erst beweisen, dass sie nicht nur Straftäter sind. Sei es bei der Arbeitssuche, bei Behörden, Partnern, also neuen Liebesbeziehungen, oder bei der Suche nach, zum Beispiel, therapeutischer Unterstützung. Es gibt kaum therapeutische Unterstützung, viele Therapeuten sind – auch verständlicherweise – abgeschreckt oder kosten im Zweifel außerdem unbezahlbar viel Geld. Und letztlich sagen unsere Klienten, müssen sie es selbst schaffen. Das stimmt ja auch. „Aber, so sagte neulich noch ein Gruppenteilnehmer, wenn ich nicht mehr weiter weiß, dann brauche ich jemanden, an den ich mich wenden kann.“ 

So jemanden zu finden, ist schwierig. Dabei ist es nicht nur schwierig das Vertrauen der andern zu gewinnen, sondern auch für einen selbst, das eigene Misstrauen gegenüber den anderen abzulegen, was aus unterschiedlichsten Gründen nicht leicht ist. 

Unsere Gruppe soll daher, abseits von bewertenden Vollzugsplänen und Führungsberichten, einen Raum bieten, eigene Erfahrungen mit anderen, die Ähnliches erlebt haben, teilen zu können. Die Gruppe ist Unterstützung dabei, einen Umgang mit dem Strudel der eigenen überwältigenden Gefühle (wie ich schon sagte, die Einsamkeit, das Versagen usw.), die ja letztlich eine große Rolle bei der Begehung von Straftaten spielen, zu finden.

Es geht also darum Nachsorge anzubieten, die es ermöglicht, sich mit sich selbst und anderen auseinanderzusetzen. Was auch bedeutet, sich selbst, seinen eigenen Gefühlen und wohl auch Abgründen, über die nun wirklich niemand gerne spricht, ziemlich nahe zu kommen. 

Aber aus meiner Erfahrung ist es genau das, was es letztlich eben auch und vor allem für den Opferschutz braucht und was ehemalige Gefangene mir gegenüber immer wieder äußern. Es geht darum überleitende Nachsorge in Form von haltgebender, ja auch innerer Sicherheit gebender, Unterstützung, in allen verwirrenden und ohnmächtig machenden Fragen der eigenen Identität und Beziehungsstruktur zu bieten. Denn ohne innere Sicherheit, keine äußere Sicherheit.

 

 

Clara Remke ist Psychologin (M.Sc.) und arbeitet in der JVA Fuhlsbüttel. Sie befindet sich in der Ausbildung zur Psychotherapeutin

 

 



 
Aktiv gegen Gewalt e. V. in den Medien.